2004/03 – Notizen aus Absurdistan……………..

24 Apr


 

Manchmal ist doch alles Gold was glänzt.

Besonders wenn die Sonne so prächtig scheint wie in Ashgabad, der Hauptstadt von
– nein -, nicht Absurdistan, obwohl es manchmal so erscheint, sondern von Turkmenistan.

Hart an der Grenze zu Iran gelegen, nur ca. 35 Km davon entfernt, an Afghanistan östlich und am Kaspischen Meer westlich angrenzend, feiert es gerade den zwölften Jahrestag der „Unabhängigkeit“ von der ex-Sowjetunion. 

Über dem Kaukasus auf dem Weg nach Ashgabad.

Ashgabad.
Im Hintergrund die Berge und Iran.

Der damalige Präsident der Sowjetrepublik Turkmenistan wurde zum neuen Präsidenten
der Republik Turkmenistan, alles weiterhin mit 99,99 % der Stimmen und soweit alles auch in bester demokratischer Manier.

Er, der Präsident, der Chef, der Vater und Führer aller Turmenen, der immer geduldig lächelnde und sich gönnerhaft gebende S. Nijasow hat sich überall verewigt, ist überall präsent, sein Bild, sein Buch, seine Sprüche zieren Strassen, Plätze, Bücher,  Wodkaflaschen, es ist die Inkarnation des Grossen Bruders.

Inge vor dem Turkmenbaschi Tower.

Das mindeste was man an jeder Ecke der blitz blanken Stadt zu lesen bekommt ist : Halk Watan Beyik Turkmenbaschi, in etwa : Lang lebe der grosse Vater aller Turkmenen.

Wobei er auch dafür sorgt dass Turkmenbaschi auch wirklich überall ist, denn die wichtigste Hafenstadt am Kaspischen Meer hat er auch nach sich selbst benannt, was ja noch verständlich sein könnte. 

Weniger verständlich ist dass er auch die Wochentage sowie die Monate ebenfalls
umbenannt hat…..

Adios Mittwoch,  hola „ Günstiger Tag für die Turkmenen“, Bye Bye September, hello „ Ruchnama „, was wiederum Buch der Seele bedeutet und wiederum das Buch ist wonach alle Turkmenen sich richten sollen und, raten Sie nicht ; natürlich vom Turkmenbaschi selbst geschrieben worden ist. 

Turkmenbaschi heisst jetzt auch der Monat Januar, nicht dass man eventuell vergisst
dass der Chef hier Turkmen…., na ja, also Turkmenbaschi ist wirklich präsent.


Mit Inge in Ashgabad.

Ansonsten ist es allerdings sehr ruhig. Wirklich ruhig. Die Stadt, die Menschen, alles wirkt wie in Watte eingepackt. Wie mit Valium ruhiggestellt. Wie ein Spielplatz für die Fusion Stalins mit Disney mit Islam mit Kitsch mit Kamelmarkt mit Irrealem.

In der Stadtmitte glänzen die neuen, tollen, leer wirkenden Paläste gebaut vom französischen Baukonzern Bouygues, bewacht und videobewacht und patroulliert.
Die goldenen, blauen und grünen Kuppeln blitzen in der Sonne.

 Einige der Paläste in Ashgabad.

Daneben die Potemkinschen Dörfer, schäbige Wohnhäuser aus der Sowjetzeit die einfach
eine moderne Stahl/Glas Fassade bekommen.

Alles ist sauber, rein, überall kehren die Frauen mit den Besen, die Männer sind am reparieren, aber alles wirkt so gedämpft, so ruhig, so ruhiggestellt. 

Am Mahnmal  für die gefallenen Sowjetsoldaten.

Mitten in der Stadt höre ich zum ersten Mal etwas was mich sehr überrascht : Musik. Ich erwähne es meiner Frau als hätte ich einen seltenen Regenbogen erblickt. 

Kurz danach ist es wieder so schön ruhig wie an einem stillen, warmen, langweiligen
Sonntagvormittag auf dem Lande. Nur sind wir hier mitten in der Innenstadt von Ashgabad, direkt am Monument des Chefs, des grossen TMB, auf deutsch auch VAT – Vater aller T……, na ja, sie wissen wen ich meine.

Er, der TMB/VAT blickt auf uns hinunter von seinem Turm. Überlebensgross, in Gold, the real Thing, ganze 60 Kg Gold hat man benutzt um ihn so goldig wie möglich aussehen zu lassen.

Vorn die „Geburtsgeschichte des Turkmenbaschi auf dem Stier“, darunter das
Turkmenbaschi Museum, dahinter der Turmenbaschi Turm.

Und er dreht sich, nicht im Kreisel, sondern mit der Sonne, auf die er mit seinem ausgestrecktem Arm zeigt.

Das Lied kommt mir in den Sinn, ja, das : Brüder zur Sonne, zur …, also, Turkmenen, da ist die Sonne. Alles andere kommt vielleicht mal.

Er schaut auf die Darstellung seiner Geburt hinunter. Da ist er als, wahrlich, goldiges Kind, das auf der Weltkugel thront, die ein Stier auf seinen Hörnern emporhebt.

So soll er geboren worden sein. Prädestiniert eben.

Gegenüber dem Grand Turkmen Sheraton Hotel erblicke ich die Weltkugel über dem Kopf
des TMB/VAT. Turkmenistan ist darauf sehr gut zu erkennen, ja, die Kugel besteht fast zur Hälfte aus dem Land der Turkmenen. Da ist wohl mal der Pinsel ausgerutscht.

Auch die Weltkugel ist „Turkmenisiert“.

Ansonsten aber Tristesse,  ruhige, bedächtige, narkotisierte, Tristesse.

Die Stadt besitzt keine Altstadt oder ein „Herz“. 

Sie wurde erst Ende des 19 Jahrhundert von Russischen Truppen zur Verteidigung des Zarenreiches gegründet.

1948 zerstörte dann ein gewaltiges Erdbeben mit 50.000 Toten die Stadt.

Sie wurde schnell wieder aufgebaut, modern, mit breiten Alleen, Boulevards und Parks.

Bis auf die wenigen modernen Hochhäuser ist hier alles maximal 3 Stockwerke
hoch.  

Wenige Gebäude erheben sich im Stadtbild

Im Markt, dem offenen „Russki Markt“ nebenan, gibt es Honig, Fladenbrot, etwas Fleisch, etwas Stör, Kräuter, Nescafe und ein Angebot an Videos, DVD’s und Musik Kassetten für die russische Minderheit die etwa 10 % der etwa 5 Millionen Einwohner Turkmenistans darstellt.

Auf dem Russki Bazar.

Freundliches Angebot an Honig.

Die wenigen Bücherstände sind voll mit Werken über oder vom TMB/VAT, besonders
sein Standardwerk, “Ruchnama” , wird angeboten.

Literaturangebot vom Chef Turmenbaschi. Links sein Buch „Ruchnama“.

Es gibt wenig wofür man sein Geld ausgeben könnte, selbst wenn man es wollte.

Der Dollar bringt offiziell 5.000 Manat ein, inoffiziell bekommt man dann einige „Briketts“ aus Scheinen, denn er bringt 23.000 Manat unter der Hand getauscht ein.

Aber wohin mit den Geldbriketts ?? Wie ausgeben ?? Das Ballet kostet 1 Dollar Eintritt.

Ansonsten gibt es vielleicht 4-5 Restaurants in der Stadt in denen man halbwegs
vernünftig essen kann, ein grosses Türkisches Shopping Center, das Ympach,  und eben Donnerstags und Sonntags den grossen Kamelmarkt, Tolkuchka genannt, draussen nahe dem Flughafen.  

Doch dort ist nur noch wenig an Kamelen vorhanden, 90 % der Fläche widmet sich dem Verkauf von Ersatzteilen für andere „Kamele“, nämlich für die Trabbis, Wartburgs, Ladas, Wolgas und Mokswitsch.  Autos die hier immer noch fahren und sich weniger guter Gesundheit erfreuen.

Einige der roten Turkmenischen Teppichen und ein paar Fellmützen und fertig ist der Kamelmarkt.

Ich hole mir ein paar Honigmelonen mit fantastischem Geruch für einen Snack.

Auch im Hotel, am Pool, Ruhe, Stille, Frieden, pemanente Siesta.

Ein Traum…………… im wahrsten Sinne des Wortes.

Immerhin, man darf rauchen, denn ansonsten ist rauchen in der Öffentlichkeit überall
verboten.

Ein Einheimischer bringt es auf den Punkt : Turkmenistan is a muslim country, but there are not many restrictions…………. 

Gianluigi,der immer freundliche Italiener der das Restaurant im Hotel “Nissa” leitet, serviert gute Küche, wenn auch mit den Einschränkungen die verständlich sind, und exzellente italienische Weine. Pizza, Pasta und  Brot produziert hier der Chef aber persönlich, Qualität ist daher garantiert.

Und zum Dessert gibt es Grappi feinster Qualität. Seit Jahren hier bemüht, behält er sich wohl die Hoffnung dass in diesem Land irgendwann mal der Wecker klingelt und das Leben beginnt.

Die Voraussetzungen wären ideal : Grösste Rohstoffvorhaben, Erdgas in Hülle und Fülle, Ölvorkommen im Kaspischen Meer.

Dennoch, dreiviertel der Menschen hier haben nur 30 Euro im Monat. Die Inflation ist enorm.

Die Pracht, das Gold, die Prestige Paläste sind Chefsache, dafür ist der Strom gratis.

Kritik wird nicht geäussert. Wer kritisiert wird schnell inhaftiert.

Die Gefängnisse sind gut belegt. 

Dafür ist alles andere sehr leer. Die wenigen westlichen Shopping Centers ; ein Laden hat auf, eins wird renoviert, 15 sind leer & geschlossen.

Die wenigen Restaurants sind genauso leer.

Ein paar Ausländer, ein paar wohlhabende Einheimische mit dem obligatorischen Handy am Ohr, und dann die vielen, meist russischen Kellnerinnen, die entweder gelangweilt herumstehen oder alle 3 Minuten das Wasserglas nachfüllen.

Die einzige anständige Kneipe/Restaurant mit Patio und Happy Hour, das Florida ist geschlossen oder wird renoviert. Ein exzellentes persisches Restaurant, das Exclusive ist ebenfalls geschlossen worden.

Gegenüber dem Florida ist das Istambul, die Lammgerichte sind annehmbar, es gibt Efes oder importiertes Heineken Bier dazu. 

Ansonsten : Tristesse, toujours Tristesse. 

Dazu die noch real-existierende sowjetische  “Service Mentalität ”  des Personals. Obwohl sich in dieser Hinsicht einiges tut.

Die Menschen an sich sind freundlich und interessiert. Am Russki Bazaar werden wir in deutsch angesprochen, die Goldzähne strahlen in der Sonne, man erkundigt sich nach unseren Namen, ob wir Touristen seien, man bietet uns Honig an, Freundlichkeit hier bei den Bauern und Händlern.

Und so vergehen die Tage wenn man in der Stadt bleibt.

Am Hotelpool, eine ruhige Oase mitten in der Stadt.

Man kann allerdings auch schöne Ausflüge in die Bergwelt um Ashgabad machen,
Wandertouren hoch über der Stadt in der Bergkette Kopet Dagh an der Iranischen Grenze .

Man kann auch ein berühmtes Pferdegestüt besuchen, oder eine Fahrt in die Sole Grotte machen, wo man im schwefligen Wasser schwimmen kann.

Alles in Allem, eine ruhige, interessante Reise in eines der letzten Raritäten der politischen Landschaft.

Nino

Abflug aus Ashgabad nach Baku auf der Airshow an Bord.

 

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